200 000 Haushalte können nicht mehr alle Schweizer Sender empfangen
Wer alle TV-Landessender schaut, ist mit einer Hausantenne bald aufgeschmissen. Die SRG zahlt nun «in Härtefällen» einen Beitrag an den Kabelanschluss oder an die Satellitenschüssel.
Pia Seiler
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Victor von Wartburg schätzt das Schweizer Fernsehen, vor allem die zwei Deutschschweizer Programme. Der Zürcher wohnt in Mies am Genfersee und die SRG bringt ihm die Deutschschweiz ins Haus.
Anfang Mai bricht diese Verbindung ab. Über seine Dachantenne wird er nur noch den welschen Kanal empfangen können.
Grund: Die SRG modernisiert ihre Sendetechnik von analog auf digital und hebt in der Übergangszeit insgesamt 773 Sendeantennen auf. Mit diesem Schritt passt sich die Schweizerische Radio- und Fernsehgesellschaft den umliegenden Ländern an. In der Schweiz soll das digitale Zeitalter 2006 anbrechen. Der Vorteil: Fernsehzuschauer erhalten digital viel mehr Kanäle als analog.
Wer eine Hausantenne hat, empfängt bis 2006 nur das Programm der jeweiligen Sprachregion. Von Wartburg kann also an seinem Zweitwohnsitz in Pontresina einzig das Programm der deutschen und rätoromanischen Schweiz anschauen.
Von dieser Massnahme sind laut Fédération Romande des Consommateurs rund 200 000 Haushalte tangiert:
In der Nordwestschweiz wurde bereits umgestellt und im Juni ist als letzte Region das Tessin dran. Erst ab 2006 können TV-Zuschauer wieder alle SRG-Kanäle via Hausantenne schauen. Allerdings brauchts dazu ein Zusatzgerät - die Set-Top-Box für rund 700 Franken.
In der Zwischenzeit bleiben von Wartburg theoretisch drei Möglichkeiten:
- Er lässt sich verkabeln und zahlt je nach Anbieter 200 bis 270 Franken pro Jahr. Doch weder Mies noch Pontresina haben Kabelnetzanschluss.
- Er installiert eine digitale Satellitenschüssel samt Decoder-Karte. Kosten (inkl. Installation): mindestens 850 Franken pro TV-Gerät.
- Von Wartburg hat an beiden Wohnorten eine Satelliten-Empfangsanlage - allerdings mit Analog-Technik. Rüstet er um, betragen die Gesamtkosten für beide Anlagen happige 6420 Franken.
Besonders ärgerlich für ihn: Die SRG hat erst im Herbst 2001 verkündet, dass die Zukunft digital ist. «Hätten die Lieferanten und ich das früher gewusst, hätte ich nicht noch vor einem Jahr analoge Tuner gekauft.» Die SRG hatte über die Medien informiert. Eine Mitteilung an alle Konzessionszahler aber hat sie unterlassen.
Auch Jacqueline Bachmann, Geschäftsführerin der Stiftung für Konsumentenschutz (SKS), kritisiert: «Die SRG benachteiligt ungerechtfertigt zahllose Haushalte in der Schweiz.» Damit verstosse die SRG gegen den Service-Public-Auftrag, den TV-Zuschauer mit einer Gebühr von Fr. 22.55 pro Monat finanzieren. Pro Jahr fliessen so 1,16 Milliarden Franken in die SRG-Kassen.
Bachmann und weitere Konsumenten-Organisationen fordern deshalb: Der Bund soll die SRG verpflichten, den Empfang aller Landessender weiterhin via Hausantenne zu ermöglichen. Das sei technisch nicht machbar, sagt Marcel Regnotto, Bakom-Sektionschef.
Beiträge gibt die SRG nur in «Härtefällen»
Mittlerweile hat sich Kommunikationsminister Moritz Leuenberger eingeschaltet. Er hat erreicht, dass Betroffene von der SRG einen Beitrag an die Mehrkosten erhalten. Wer mit wie viel unterstützt wird, sei noch nicht entschieden, sagt SRG-Sprecher Simon Meyer. «Klar ist hingegen, dass nur Härtefälle in Betracht kommen.» Bekommt auch Victor von Wartburg etwas? Meyer will sich nicht festlegen.
Mit dem Gummibegriff «Härtefälle» kann Matthias Nast von der SKS nichts anfangen. Er fordert deshalb «eine faire Lösung für alle Konzessionszahler».
Weitere Infos: Gratis-Hotline der SRG, Tel. 0848 88 44 22. Anträge für einen finanziellen Beitrag an: Simon Meyer, SRG, Giacomettistrasse 3, Postfach, 3000 Bern 15